Ist Glück lernbar?

«Jeder ist seines Glückes Schmied» behauptet der Volksmund. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Glück ist nicht so einfach planbar wie eine Schmiedearbeit. Können wir unser Wohlbefinden überhaupt in irgendeiner Weise beeinflussen? Und wenn ja: wie wäre dies möglich?

Das Glücksgen
Marcel Suter arbeitet seit 10 Jahren als einfacher Angestellter in einem Grossbetrieb. Er ist rundum zufrieden und führt ein unbeschwertes Leben. Ganz anders seine Schwester Margareta. Die Ingenieurin ist oft bedrückt und neigt zur Grübelei. Wenn sie könnte, würde sie ihre Arbeit aufgeben und sich nur noch ihrem Hobby widmen: dem Fotografieren.

Manchen Menschen scheint das Glück in die Wiege gelegt zu sein, während andere freudlos durchs Leben straucheln. Gibt es so etwas wie ein Glücksgen? Tatsächlich scheinen die Gene einen gewissen Einfluss darauf zu haben, ob wir glücklich sind oder nicht. So haben die amerikanischen Forscher David T. Lykken und Auke Tellegen in einer Studie mit 4‘000 Zwillingen herausgefunden, dass sich eineiige Zwillinge, die unabhängig voneinander in verschiedenen Adoptivfamilien aufwuchsen, in ihrem Glücksniveau viel ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge, die im selben Elternhaus aufwuchsen. Die Forscher schliessen daraus, dass jeder Mensch einen genetisch vorbestimmten Basiswert hat, auf dem er sich immer wieder einpendelt. Man nennt diesen Ansatz auch Set-Point-Theorie, oder Sollwert-Theorie.

Nehmen wir nun an, Margareta Suter hätte einen Lottogewinn in Millionenhöhe gemacht. Wie würde sich dieser Glücksfall auf ihr Lebensgefühl auswirken? Die Zufriedenheit der Lottogewinnerin würde zunächst sprunghaft ansteigen. Möglicherweise würde Margareta Suter ihre ungeliebte Arbeit aufgeben und sich nur noch ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Fotografieren, widmen. Nach ungefähr einem Jahr jedoch würde sich ihre Lebenszufriedenheit auf dem alten Niveau einpendeln und sie wäre genauso zufrieden oder unzufrieden wie vor dem Lottogewinn. Dies lässt sich aus einer Untersuchung von Richard E. Lucas mit Lottogewinnern schliessen. Der Psychologie-Professor konnte nachweisen, dass positive Ereignisse wie ein Lottogewinn nur einen kurzfristigen Anstieg des Glücksempfindens auslösen, der sich nach einiger Zeit wieder auf dem Basiswert einpendelt. Eine Art «Glücks-Grundwasserspiegel» also. Der Mensch hat eine ausgeprägte Fähigkeit, sich an Lebenssituationen anzupassen – im Positiven wie im Negativen. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Modell für nachhaltiges Glück
Wäre unser Lebensglück allein durch die Genetik bestimmt, käme der Versuch, glücklicher zu werden, dem Versuch, zu wachsen gleich: es wäre sinnlos. Doch gibt es weitere Faktoren, die sich auf unsere Lebenszufriedenheit auswirken.

Die Glücksforscher Kennon M. Sheldon und Sonja Lyubomirsky unterteilen die möglichen Einflüsse auf das persönliche Wohlbefinden in drei grosse Kategorien: Die Genetik, die Lebensumstände und die auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Aktivitäten. Unter dem Begriff «Lebensumstände» summiert die Glücksforschung demographische Merkmale wie Wohnort, Einkommen oder soziale Stellung. Diese Merkmale weisen eine Gemeinsamkeit auf: sie sind relativ stabil. Man geht davon aus, dass nur etwa 10% unseres Glücksniveaus von solchen äusseren Umständen abhängen. Den biologischen Anlagen werden rund 50% der Unterschiede im persönlichen Wohlbefinden zugeschrieben. Die restlichen 40% gehen auf eine besondere Form von Tätigkeiten zurück: die zielgerichteten Aktivitäten. Glücksforscher orten hier das grösste Potential für die Steigerung des Wohlbefindens.

Aktivitäten – ein Schlüssel zum Wohlbefinden
Im Gegensatz zu den Genen lassen sich Lebensumstände und Aktivitäten verändern. Bei den Lebensumständen stellt sich allerdings das Problem der Gewöhnung, wie verschiedene Studien nachgewiesen haben. Aktivitäten hingegen unterliegen weniger stark der Anpassung, da sie sich beliebig variieren lassen – das heisst, sie können je nach Bedarf entwickelt, zeitlich verändert und modifiziert werden. Man muss eine Aktivität nicht immer zur gleichen Tageszeit, am gleichen Ort, auf die gleiche Art und Weise oder mit den gleichen Zielen und Absichten ausführen.

Stellen wir uns zur Veranschaulichung wieder Margareta Suter vor, die, wie wir wissen, dem Hobby Fotografieren frönt. Sie könnte zum Beispiel ihren Arbeitsweg bereichern, indem sie ihre Kamera einsetzt. Nimmt sie die S-Bahn, kann sie Schnappschüsse der Menschen im Pendlerstrom machen. Fährt sie mit dem Auto, kann sie einen Zwischenhalt einlegen und eine schöne Landschaft aufnehmen. Geht sie zu Fuss, kann sie ihren Arbeitsweg aus unterschiedlichen Perspektiven festhalten. Sie kann fotografieren, um ein schönes Album anzulegen, oder um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. In der Variation ihrer Lieblingstätigkeit eröffnet sich Margareta Suter eine nahezu unerschöpfliche Quelle der Lebensfreude.

«Wer immer strebend sich bemüht...»
Der Glücksforscher Sheldon bringt es auf den Punkt: «Sich auf eine Aktivität so einzulassen, dass sie einen ununterbrochenen Strom frischer, positiver Erlebnisse bringt, ist der Schlüssel zum Glück». Sobald eine Aktivität zur Routine wird, nimmt ihr Einfluss auf das Wohlbefinden wieder ab. Fantasie und Kreativität sind also gefragt. Momente der Lebenszufriedenheit müssen immer wieder von Neuem erarbeitet werden. Insofern hat die alte Volksweisheit vom Schmieden des Glücks also durchaus ihre Berechtigung.

Viele Wege führen zum Glück – Anregungen aus der Wissenschaft
• Pflegen Sie Freundschaften, sie steigern das Lebensglück.
• Üben Sie sich in Genügsamkeit, statt immer höhere Erwartungen zu stellen.
• Geld allein macht nicht unglücklich: Ein gesichertes Einkommen ist der Lebenszufriedenheit zuträglich.
• Weniger ist mehr: schrauben Sie Ihre Erwartungen auf ein realistisches Mass hinunter.
• Helfen hilft: Bieten Sie Ihren Mitmenschen Ihre Hilfe an.
• Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr: Nachwuchs führt nicht zum grossen Glück. Statistisch glücklich machen Kinder erst, wenn sie ausgeflogen sind.
• Reden Sie mit. Nutzen Sie die staatsbürgerlichen Rechte und gestalten Sie Ihre Umwelt aktiv mit. Das Gefühl, mitbestimmen zu können, macht glücklich.
• Mattscheibe aus: Häufiges Fernsehen senkt die Lebenszufriedenheit.
• Gesundheit macht glücklich. Eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung, regelmässiger Bewegung, einem mässigen Alkoholkonsum und dem Verzicht auf Zigaretten steigert das Wohlbefinden nachweislich.

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