Sind Träume doch nicht nur Schäume?

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Als Vogel über die Alpen fliegen, beim Sprechen die Zähne verlieren – im Traum passieren die verrücktesten Dinge. Manchmal wachen wir mitten in der Nacht verstört auf und fragen uns: «Was hat das zu bedeuten?» Unsere Vorfahren hielten Träume häufig für Botschaften von höheren Mächten. Heute vermuten viele, ihr Unterbewusstsein wolle ihnen etwas sagen. So sah es auch der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud: Träume, so Freud, seien unterbewusste Wünsche und Triebe, die in unser Bewusstsein vordringen. Doch Freuds Deutung hatte lange Jahre keinen Platz in der Hirnforschung. Für sie war klar: Wenn jemand träumt, dann ausschliesslich in der REM-Phase. Diese Schlafphase ist gekennzeichnet durch schnelle Augenbewegungen (Rapid Eye Movement) und ein wahres Feuerwerk von neuronaler Aktivität. Träume seien daher rein biologische Prozesse, Nervengewitter ohne tiefere Bedeutung, so die Schlussfolgerung der Neurologen.

Der Motor des Träumens
Erst der südafrikanische Neurowissenschaftler Mark Solms fand heraus, dass wir auch ausserhalb der REM-Schlafphase träumen – und manchmal überhaupt nicht. Weshalb aber ist das so? Manche von Mark Solms’ Patienten gaben an, niemals zu träumen. Solms fand heraus, dass sie alle an jenem Bereich des Vorderhirns verletzt waren, der auch als Belohnungszentrum oder SUCH-System bezeichnet wird. Dieses System wird aktiv, wenn wir etwas wollen – zum Beispiel essen, trinken oder Anerkennung. Für Solms wurde klar: Dieses SUCH-System ist der Motor unserer Träume. Träume und Wünsche hängen also doch zusammen – und Freud schien nicht so falsch zu liegen.

Dies wollte Solms auch bildlich zeigen und liess Patienten im Kernspintomographen einschlafen. Und tatsächlich: Offenbar sind während des Traums alle emotionalen Schaltkreise aktiv. Besonders rege ist das Dopamin-System, dessen Botenstoffe uns motivieren, zu suchen, was unsere Bedürfnisse befriedigt.

Hüter des Schlafes
Warum wir träumen, lässt sich bis heute nicht abschliessend beantworten. Mark Solms ist aufgrund seiner Forschung aber überzeugt, dass Freud eine Funktion des Traumes bereits erkannt hat. Der schrieb 1900: Träume «dienen der Absicht, den Schlaf fortzusetzen, anstatt zu erwachen. Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer.» Das kann Solms bestätigen: Seine traumlosen Patienten wachten häufiger auf als die Träumer.

Einige gängige Vermutungen, warum wir träumen, konnten Solms’ Untersuchungen dagegen entkräften: Anscheinend benötigen wir Träume nicht, um etwas zu verarbeiten oder uns auszuleben. Zudem scheint der Traum keine Voraussetzung zu sein, um das Gedächtnis zu festigen: Auch Solms’ traumlose Patienten hatten keine Probleme, sich Dinge zu merken.

Vieles spricht dafür, dass unser Gehirn während des Träumens für das reale Leben «trainiert». Das haben Untersuchungen mit Menschen gezeigt, die sich bewusst sind, dass sie träumen. Diese «Klarträumer» sind sozusagen Regisseure ihrer Träume; sie können diese steuern. Nun gibt es Berichte von Sportlern, die im Klartraum ihre Bewegungsabläufe übten und ihre Leistung im realen Leben dadurch verbessern konnten. Diese Forschung steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Für Mark Solms ist der Traum nicht zuletzt ein Mittel, sich selbst kennenzulernen. In einem Spiegel-Interview erklärte er einst: «Aus unseren Träumen können wir viel über unsere Seele lernen, weil die Kontrolle durch unser rationales Tagesbewusstsein wegfällt. Der instinktive, emotionale Teil unseres Bewusstseins wird aufgedeckt. (...) Der Traum gibt uns eine spezielle Einsicht in unsere elementare emotionale Persönlichkeit.»

Vergessen ist sinnvoll
Solms kann mit seinen Untersuchungen auch darüber Aufschluss geben, wieso wir uns an manche Träume erinnern und an manche nicht. Es scheint, dass uns Träume nach einer unruhigen Nacht besser im Gedächtnis haften bleiben: Wer zum Beispiel am Morgen einen wichtigen Termin hat und fürchtet, den Wecker nicht zu hören oder sich über den Lärm des Nachbarn ärgert, erinnert sich vielleicht eher an Träume als in anderen Nächten. Solche Störungen des Schlafs scheinen Träume sogar zu provozieren. Dass gute Traum-Erinnerer schlechter schlafen als andere, haben französische Forscher bestätigt. Sie haben die Gehirne von Personen, die sich gut an die Träume erinnern konnten, mit jenen von schnellen «Traum-Vergessern» verglichen. Wer sich gut an Träume erinnert, dessen Gehirn reagiert eher auf Geräusche aus der Umwelt. Das erleichtert dem Gehirn in einer kurzen Wachphase wohl, den Traum abzuspeichern.

Wer sich an seine Träume erinnern will, sollte mit geschlossenen Augen liegen bleiben und das Traumgeschehen nochmals Revue passieren lassen. Bestimmt ist es aber nichts Schlechtes, sich nicht an einen Traum zu erinnern. Viele Träume vergessen wir wohl, damit wir sie nicht mit realen Erlebnissen verwechseln. Träume kommunizieren nichts Reales, daher müssen wir uns nicht an sie erinnern. Würden wir uns an zu viele Dinge erinnern, die gar nie stattgefunden haben, könnte das unseren Realitätssinn beeinträchtigen.

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