Pleiten, Pech und Pannen

Dieser Artikel stammt aus unserem Spendermagazin «das Gehirn». Unsere Zeitschrift «das Gehirn» erscheint viermal im Jahr und ist für Spenderinnen und Spender der Schweizerischen Hirnliga kostenlos. Lesen Sie weitere spannende Beiträge, indem Sie hier ein Probeexemplar bestellen.
Versprecher reizen unsere Lachmuskulatur und beflügeln unsere Fantasie: Auf der Autobahn Bern-Zürich schneit es in beiden Fahrtrichtungen – Reden ist Schweigen, Silber ist Gold – Da kannst Du Neid werden vor Blass – Sie hat ihren Mann zum Brötchen schicken geholt – Das treibt einem die Schamröte in die Augen – Dem Peter muss man rigoros den Mund abschneiden – Es ist mir egal, welche Wurst Dir über die Leber gekrochen ist – Da platzt mir doch der Hut – Ich bin fast aus allen Socken gefallen – Dein neuer Haarschnitt ist schnick – Mich rührt der Donner – Fahr nicht so riskant – Wir bitten die Autofahrer, die Gegend weiträumig umzufahren.
Der Fundus der Versprecherkartei ist nahezu unerschöpflich! Auch Politiker können ein Lied davon singen: Da wird im deutschen Bundestag aus der ehemaligen Bundeskanzlerin plötzlich Andrea Merkel. Wobei sie selber den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch aus Versehen als Roland Kotz bezeichnete. Lauthals verkündet ein Bundesparlamentarier: «Wir pfeifen nicht nach ihrem Tanze!» und der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber bekannte: «Ich weiss, was es bedeutet, Mutter von drei kleinen Kindern zu sein.» Die Sprache hat ihre Tücken. Aus Sicht des Psychoanalytikers Sigmund Freud geben solche sprachlichen Fehlleistungen Hinweise auf unterdrückte Konflikte, die sich ins Bewusstsein drängen. Freud selber hat seine These wissenschaftlich nie untermauert, ihre Wirkung war aber so nachhaltig, dass sich der Ausdruck des «Freud'schen Versprechers» in unserer Sprache etabliert hat. In seinem Werk «Psychopathologie des Alltagslebens» beschreibt Sigmund Freud Versprecher als sprachliche Fehlleistungen, mit denen anstelle des eigentlich Gemeinten etwas gesagt werde, das dem Gedachten möglicherweise sogar besser entspräche und in diesem Sinne interpretiert werden könnte. Zur Illustration seiner These beschreibt Freud, wie er einen Mann beobachtete, der sich über gewisse Vorgänge beschwerte und sagte: «Es sind Tatsachen zum ‹Vorschwein› gekommen.» Auf seinen Lapsus aufmerksam gemacht, bestätigte der Mann, dass er diese Vorgänge als ‹Schweinereien› bezeichnen wollte. ‹Vorschein und Schweinerei› haben zusammen das sonderbare ‹Vorschwein› entstehen lassen. Freud war überzeugt, dass die sprachlichen Fehlleistungen uns etwas über das Seelenleben derer verraten, denen sie zustossen. Dass sich die wahren Gedanken auf diese Weise ins Bewusstsein drängen, war nach Freud zwingend.
Eine andere Ansicht vertritt die Linguistik-Professorin Helen Leuninger von der Universität Frankfurt. Die Sprachwissenschaftlerin hat sich über mehrere Jahrzehnte hinweg mit dem Phänomen der Versprecher befasst und erforscht, wie sie im Sprachzentrum unseres Gehirns zustande kommen. Für Leuninger sind Versprecher ganz alltägliche sprachliche Pannen, ungeplant und ungewollt. Man schätzt, dass im Durchschnitt pro tausend Wörter ein sprachlicher Lapsus vorkommt. Anders ausgedrückt: Wenn wir in normaler Sprechgeschwindigkeit ununterbrochen reden würden, dann würden wir uns ungefähr alle zehn Minuten verhaspeln. Leuninger hat beobachtet, dass wir uns häufiger versprechen, wenn wir besonders konzentriert oder besonders erschöpft sind. Fehlerfreies Sprechen scheint offenbar dann gut zu gelingen, wenn der Sprecher sich in einem harmonischen Gleichgewicht befindet. Die Linguistin betont, dass Versprecher nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun haben, sondern als vorübergehende Beeinträchtigung unserer inneren Sprachplanung zu interpretieren sind. Leuninger hat festgestellt, dass Versprecher nicht beliebig sind, sondern bestimmten Regeln folgen. Häufige Muster sind etwa Wort- oder Lautvertauschungen, wie «Wir pfeifen nicht nach Ihrer Tanze», auch so genannte Antizipationen kommen häufig vor: «Edelstahlkopftopf» statt «Edelstahlkochtopf», wie auch Verschmelzungen von Redewendungen wie «Ein Beispiel aus den Haaren saugen » für «an den Haaren herbeiziehen » und «aus den Fingern saugen».
Ist damit die Theorie der Freud'schen Versprecher widerlegt? Inwiefern Freud Recht hatte, ist nach wie vor umstritten. Die Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main, Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber gibt zu bedenken: «Wenn ein Patient immer wieder «Mutter» anstelle von «Schwester» sagt, mag das schon etwas über das Verhältnis aussagen und sollte zumindest nachgehakt werden.» Bei Versprechern mögen Themen zum Vorschein kommen, die uns nebenbei beschäftigen. Doch bleibt fraglich, ob Aussenstehende daraus Schlüsse auf unsere Gedanken oder unsere Psyche ziehen können.
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