Glück im Unglück finden
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Die meiste Zeit des Lebens verbringen wir in gewohnten Bahnen. Tag für Tag gehen wir unseren Verpflichtungen nach, den Sorgen des Alltags begegnen wir mehr oder weniger gelassen. Doch manchmal trifft es uns wie aus heiterem Himmel. Der Tod eines Angehörigen, eine schwere Krankheit, der Verlust der Arbeitsstelle. Welche Strategien helfen, kritische Lebensereignisse zu verarbeiten?
Ein dreissigjähriger Musiker schrieb seinem Freund: «Ich führe ein unglückliches Leben, bin mit der Natur und ihrem Schöpfer über Kreuz.» Auslöser für diesen Brief war die zunehmende Schwerhörigkeit, die ihn dazu trieb, sich allmählich von allen sozialen Ereignissen zurückziehen. Sein Lebenswille sank; ein Jahr später setzte er sogar sein Testament auf: «Welch eine Erniedrigung für mich, neben jemandem zu stehen, der von Ferne Flötentöne hört – und ich höre gar nichts! Mit Freuden eile ich, um dem Tod zu begegnen.»
25 Jahre später war der Musiker immer noch am Leben. Im Alter von 53 Jahren dirigierte er das Orchester des Hoftheaters in Wien. Der völlig taube Ludwig van Beethoven triumphierte mit der Neunten Sinfonie zur Ode Schillers «An die Freude».
Lebenskrisen: Wie weiter?
Die meiste Zeit des Lebens verläuft in gewohnten Bahnen. Tag für Tag gehen wir unseren Verpflichtungen nach, den Sorgen des Alltags begegnen wir mehr oder weniger gelassen. Doch manchmal trifft es uns wie aus heiterem Himmel. Der Tod eines Angehörigen, eine schwere Krankheit, der Verlust der Arbeitsstelle. Andere Krisen kündigen sich schleichend an. Schwelende Konflikte mit dem Lebenspartner, die Angst vor wirtschaftlichem Abschwung, das allmähliche Abdriften in eine Depression.
Menschen entwickeln unterschiedliche Strategien, um mit Lebenskrisen umzugehen. Im ersten Moment reagieren wir auf dramatische Ereignisse zumeist mit Verdrängen, Ablenken oder Flucht.
Warum wir Krisen nicht überspielen sollten
Schwierige Zeiten sind emotional aufwühlend. Wir werden von heftigen Gefühlen gebeutelt, die uns daran hindern, vernünftig über Lösungen nachzudenken. Daher neigen wir dazu, möglichst schnell wieder zum Normalzustand überzugehen. Das ist falsch: Emotionen sind keine lästige Begleiterscheinung von Problemen, sondern sie liefern uns wertvolle Informationen und Lösungshinweise. Wenn wir es schaffen, diese negativen Emotionen zu verarbeiten und zu regulieren, können wir sogar gestärkt aus einer Lebenskrise hervorgehen.
Die so genannte Coping-Forschung liefert wichtige Hinweise auf erfolgreiche Bewältigungsstrategien. Mit dem Wort «coping» bezeichnet man im englischen Sprachraum die Bewältigung einer schwierigen Situation. Zu den reifen Strategien zählen Sublimation, Unterdrückung, Antizipation und Humor.
Sublimation: Krisen nutzbar machen
Das eingangs zitierte Beispiel Ludwig van Beethovens zeigt eindrücklich, wie sich Emotionen kreativ nutzen lassen. Der Komponist verharrte nicht in Selbstmitleid. Es gelang ihm, sein körperliches und seelisches Elend im künstlerischen Prozess zu verarbeiten. In der Psychologie wird dies als Sublimation bezeichnet. Die inneren Konflikte werden auf einer höheren Stufe nutzbar gemacht, ohne die negativen Emotionen zu verdrängen.
Unterdrückung: Gelassenheit entwickeln
«Nicht was, sondern wie man erträgt, ist wichtig.» Dieses Zitat stammt vom römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca und gibt die Geisteshaltung der Stoiker wieder. Die philosophische Lehre der Stoa betrachtete Gelassenheit als höchste Tugend. Sie bildet die Grundlage einer weiteren Bewältigungsstrategie der Unterdrückung oder Suppression negativer Emotionen. Dunkle Gedanken und Gefühle werden nicht verdrängt, aber bewusst kontrolliert. Die Stoiker begegneten Umständen, die sich nicht ändern liessen, beherrscht und mit Gelassenheit. In manchen Situationen können wir nichts weiter tun, als den Schmerz zu ertragen.
Antizipation: sich auf das Schlimmste vorbereiten
Die Vorwegnahme oder Antizipation dient dazu, sich auf absehbare, schmerzhafte Konflikte vorzubereiten, um sich quasi gegen die kommenden Bedrohungen zu impfen. Wenn ein Problem immer wieder durchgespielt wird, verliert dessen seelisches Gift allmählich an Kraft.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht...
«Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich möchte nur nicht dabei sein. wenn's passiert», so kommentierte der amerikanische Komiker und Regisseur Woody Allen die menschliche Vergänglichkeit. Humor hilft, sich den Realitäten des Lebens zu stellen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Mit Humor lassen sich seelische Konflikte ausdrücken, ohne sich damit selbst zu behindern oder andere zu verletzen.
Nicht jede Krise kann man selbst lösen. Wenn negative Gedanken unüberwindbar scheinen und Sie das Gefühl haben, nicht mehr weiterzuwissen, dann suchen Sie sich Hilfe!
- Die Dargebotene Hand ist unter der Nummer 143 täglich 24 Stunden erreichbar.
- Unter www.wie-gehts-dir.ch finden Sie Gesprächstipps, um über eigene Probleme zu reden oder jemanden, um den Sie sich sorgen, darauf anzusprechen, Adressen mit Hilfsangeboten und viele weitere nützliche Hinweise.